Heartbridge

"Laßt uns Brücken wiederaufbauen ... laßt uns Mauern niederreißen!"

Anja Mattenklott: "Heartbridge", 2017, 70 cm x 50 cm, Gouache, Pigment, Graphit, Nachtleuchtfarbe auf Karton
Anja Mattenklott: "Heartbridge", 2017, 70 cm x 50 cm, Gouache, Pigment, Graphit, Nachtleuchtfarbe auf Karton

Assaad Emile Chaftari schaut in das Arbeitsbuch des ersten Globalen Friedensstifter-Gipfels (GPS), der im September 2016 im brandenburgischen Dorf Paretz und in Berlin stattfand.

Sein langer schuldbeladener Weg durch den libanesischen Bürgerkrieg und seine innere Wandlung stehen als Beispiel dafür, daß Veränderungen in gewaltbereiten Menschen zu friedlichem Verhalten möglich sind.

Libanon mit seinen 10500 km² liegt am östlichen Mittelmeer, begrenzt von Syrien im Norden und Osten, von Israel im Süden des Landes. Von 4,5 Millionen Einwohnern und ca.1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen leben etwa die Hälfte in der Hauptstadt Beirut. Bis zu Beginn der 1970er Jahre galt sie wegen ihrer Weltoffenheit als "Paris des nahen Ostens". 18 Religionsgemeinschaften werden verfassungsrechtlich anerkannt. Zu den größten Gruppen zählen maronitische Christen, schiitische und sunnitische Muslime. Amtssprache ist Arabisch, Zweit-und Drittsprache Französisch und Englisch.

 

Assaad, geboren 1955 wuchs als Christ in einem christlich dominierten, prowestlichen Land auf. Durch das Erstarken der vormals unterdrückten arabisch nationalistischen Kräfte Anfang der 1970er Jahre begannen die Machtverhältnisse zu kippen. Der Überfall auf eine Kirche am 13.4.1975 und das darauffolgende Massaker an palästinensischen Businsassen auf dem Weg in ein Flüchtlingslager durch maronitische Christen gilt offiziell als Beginn des libanesischen Bürgerkrieges.

 

Im "Forgiveness Project" beschreibt Assaad seine Vergangenheit: "Als der Krieg begann, trat ich der Telekommunikationseinheit der Christlichen Kräfte bei und machte später einen Artilleriekurs. Ich war verantwortlich für viele Tote, als wir muslimische Quartiere unter Beschuß nahmen und ich konnte das leicht rechtfertigen. Als unsere Widerstansbewegung wuchs, wuchs ich mit und wurde schließlich stellvertretender Geheimdienstoffizier. Meine Aufgabe war über das Schicksal all jener zu entscheiden, die zu unseren Checkpunkten kamen - ob sie verschont blieben, ausgetauscht oder ermordet wurden. Ein Mensch war für mich nicht mehr als eine Ware. Während all der Zeit ging ich zur Sonntagsmesse und wenn ich etwas zu beichten hatte, waren das kleine Fehler, wie einen Wutanfall. Ich beichtete keine Morde, weil ich es nicht als Sünde sah. Ich war ein Kreuzritter."

 

Seine Veränderung begann mitte der 1980er Jahre, als er selbst mit seiner Familie für 6 Jahre im Exil eng mit Palästinensern und Muslimen zusammen lebte. Ab 1988 besuchte er Treffen der "Moralischen Aufrüstung", seit 2001 in "Initiative of Change-Bewegung" umbenannt, lernte in Gesprächen mit Muslimen die Menschen, statt die Feinde zu sehen und lernte, daß man sich trotz verschiedener politischer Meinungen respektieren kann.

 

Als sich zehn Jahre nach Kriegsende im Jahr 2000 sein 13jähriger Sohn abfällig über Muslime äußerte, rüttelte es in ihm das Bewußtsein wach, etwas tun zu müssen, um die nächste Generation von der Gewalt gegen anders Denkende abzubringen, damit sich seine Geschichte nicht wiederholt. Er sandte einen offenen Brief an die Presse, in dem er sich beim libanesischen Volk entschuldigte und um Vergebung bat.

2014 gründete er zusammen mit anderen Veteranen aus verschiedenen politischen Lagern die Organisation  "Fighters for Peace". Sie nutzen Auftritte in den Medien, geben Seminare, gehen an Schulen, klären Jugendliche auf über ihre Erfahrungen im und nach dem Krieg, organisieren Workshops zu den Themen Vergebung, Gewalt, Dialog, Konflikttransformation, gewaltfreie Kommunikation.

Sein Buch "La vérité même si ma voix tremble" ("Die Wahrheit ... auch wenn meine Stimme zittert") erschien 2015, bisher auf französisch und arabisch. Er möchte mit seiner Geschichte aufklären, seinen Weg der Veränderung und die Botschaften und Arbeitsweisen der Initiatives of Change, mit den er seit Ende der 80er Jahre in diesem Prozess zusammenarbeitet, verbreiten. "Wenn man die Welt, das eigene Land oder die eigene Gemeinschaft verändern will, muß man bei sich selbst anfangen."

Anja Mattenklott: "Heartbridge", 2017, 70 cm x 50 cm, Gouache, Pigment, Graphit, Nachtleuchtfarbe auf Karton, nachts
Anja Mattenklott: "Heartbridge", 2017, 70 cm x 50 cm, Gouache, Pigment, Graphit, Nachtleuchtfarbe auf Karton, nachts

Der Mensch Assaad Chaftari mit seinen Schatten- und Lichtseiten hat mich sehr fasziniert.

Ich brauchte lange, um einen Anfang für sein Portrait zu finden und dann konnte ich lange nicht aufhören zu malen, weil ich immer wieder etwas Neues, Interessantes über ihn und den Libanon entdeckte.

 

Das Bild "Heartbridge" gliedert sich in drei Ebenen:

Die matrixartige Hintergrundebene besteht aus vielen Kammern mit Herzen, die alle miteinander verbunden sind. Es ist eine Vision der im Frieden verbundenen libanesischen Menschen.

Bis heute stellt sich die Frage: "Was hält das Land zusammen?",

da das Band zu Familie, Clan und Religionsgemeinschaft bestimmender ist als die Identifikation mit der Nation.

 

Die Farbgebung der Kammern spielt auf Geographisches an:

türkis steht für das Mittelmeer, grün für den Zedernwald,

weiß für das Libanongebirge, hellblau für den Himmel.

 

Darüber der Regenbogen als Schutz und Segen trägt die Leitsätze der Friedensorganisation "Fighters for Peace": "Laßt uns Brücken wiederaufbauen...laßt uns Mauern niederreißen. Veränderung ist möglich, so wie wir uns verändert haben. So laßt uns Frieden machen, anstatt zu töten, miteinander reden, anstatt zu kämpfen und laßt die Liebe über den Hass siegen."

Der Regenbogen symbolisiert auch die Brücke über die einbrechende Mauer.

 


Auf der zweiten Ebene, der Mauer bilden sich im linken Teil Kriegsthemen ab: der große Schuldschatten mit den Tränen für die Toten und Vermißten, das ESC-Zeichen zur Flucht aus dem Alptraum, die blutige Hand als Symbol für die gegen-seitigen Massaker der Kriegsparteien, die Soldatengraffiti, der Arzt, der das wunde libanesische Herz untersucht, das schreiende KInd im Angesicht der Kriegegreuel, die  siebartigen Einschußlöcher an den Hauswänden.


Die hellblauen Monster um diese Kriegsnarben sind vom libanesischen Graffittikünstler Jad El Khoury inspiriert.

Er bemalt in Beirut riesige Ruinenhauswände mit seinen "Kartoffelnasen". Mit seinem Projekt "Krieg Frieden" möchte er Kriegswunden am Beispiel der Architektur anerkennen, und dennoch weitergehen, statt Verzweiflung, Freude und positives Denken schaffen.

 

Die Libanonzeder, das Nationalsymbol des Landes steht als Heilpflanze für Frieden, Heiligkeit, Unvergänglichkeit.

 Vor der Zeder, die weiße Stuhllehne trägt die Flagge Libanons und die roten Punkte für das Blutvergießen während des Krieges. Auf der rechten Seite unten die zweite Stuhllehne hat in der Flagge anstelle der Zeder das Peacezeichen und wo Blut floß, wächst jetzt Gras, als Metapher, daß das Leben weitergeht.

Die rechte Mauerseite ist dem Frieden gewidmet. Der Blumenstrauß, die Schablonengraffiti "Liebe, Lachen, Musik" und "Das Herz vereint uns", die libanesische Gesangsikone Fayrouz, die melancholischen Worte des Poeten und Malers Khalil Gibran, das Logo der Fighters for Peace und ihr Slogan stehen für das Lebendige, die Kultur, das Positive. Das, was hilft, die Schatten zu überwinden.

 

Fast alle Graffiti auf diesem Bild sind libanesische Originale. Beirut bezauberte mich medial mit einer kunstvollen Szene. Diese Kultur brachte mich auf die Idee, damit Assaads Geschichte und die des Libanon darzustellen.

 

 

 

Auf seiner Schulter weilt eine Taube, die in ihrem Inneren die arabische Kalligraphie für "Liebe und Frieden" trägt. Sein Hemd aus Annemonenstoff mit Clownsfischen hat für mich mehrere Bedeutungen:


 

Die Annemone ist Heimat, Schutzraum und Näherin der Fische. Im Gegenzug verteidigen die Fische ihre Annemone gegen Fressfeinde und putzen die Essensreste weg, wenn der Annemone mal was runterfällt. Man kann diese symbiotische Beziehung so verstehen, als sei der Libanon die Heimatannemone der Peacefighters, die dafür kämpfen, daß er für die nächsten Generationen in Frieden lebendig bleibt.

 

Assaad Chaftari hat einen besonderen Humor, einen gewissen Schalk. Als ich mein Bild beendet hatte, entdeckte ich am Ende eines Dokumentarfilms über ihn und eine Mutter, deren Sohn im Bürgerkrieg durch seine Geheimdienstorganisation verschwand und die er jetzt bei der Spurensuche unterstützte ("Sleepless Nights" von Eliane Raheb, Libanon 2012), eine Sequenz wie er eine Clownsschule besucht.

 

 

(c) Anja Mattenklott,

15. + 18.10. 2017

 

 

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